Alp Nr. 56 : Alp Grossberndli
15.06.2012 17:50 ( 4859 x gelesen )
- Freitagnachmittag, bleibe bei der Arbeit hängen
- Alphornklänge liegen in der Luft, fantasiere ich?
- Nasse Füsse Dank Wanderkarte
- Der Senn und die Sennerin kommen vom Hinterforst
- Lieber nicht beim Alpkreuz spielen
- Zeitdruck, Seitenstechen und Alphornspiel
- Ein Stück Linzertorte und Milchkaffee retten mich
- Lied „Säntislüchte“
- Ein wunderschöner „Güggel“
- Zwergenfamilie im Wald
- Die Schuhe drücken
Erstmals möchte ich am Freitagnachmittag etwas früher Feierabend machen und um 14:45 meine Tour starten. Ich verabschiede mich deshalb um diese Zeit von meinen Arbeitskollegen, welche nur noch eine kurze Frage haben. Diese dehnt sich dann ungewollt auf 30 Minuten aus, bis ich mich dann davonstehlen kann. Mein heutiges Ziel ist das Herrenberndli, ab Lehmen oberhalb vorbei am Leuenfall. Den Wasserfall höre ich schon von weitem rauschen und komische Alphornklänge liegen dazu in der Luft, nur wirre Töne und keine Melodien. Meine Gedanken durchkreuzt das ungute Gefühl zu fantasieren. Das ist doch so, wenn man etwas hören möchte ist es plötzlich da. Je näher ich aber dem Rauschen des Wassers komme, desto lauter werden auch die Alphorntöne. Beim Wasserfall stoppe ich und schaue gespannt hinunter, da steht doch wirklich ein Bläser und macht seine Einspielübungen in freier Natur – speziell.
Mit der Wanderkarte in der Hand suche ich wie ein OL Läufer den schnellsten Weg zum Ziel. Ein schmaler Pfad führt durch den Wald über einen Bach direkt zu dieser Alp. Scheinbar erwische ich aber den falschen Fussweg, meiner endet nämlich unten am Berndlibach. Auf der anderen Bachseite entdecke ich im steilen Waldbord einen Wildwechselpfad. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Hose hoch zu krempeln und den reissenden Bach zu überqueren. Mit nassen Schuhen steige ich den Wald hinauf und komme ziemlich ins Schwitzen. Als ich oben auf der Weide ankomme, möchte ich am liebsten eine Planänderung vorziehen und die nächstgelegene Alp Lehnstöckli besuchen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich weiter Richtung Schwizerälpli gehen soll, stellt sich aber leider als falsch heraus. So kommt es, dass ich am Schluss beim Grossberndli lande, welches sogar noch weiter entfernt liegt als mein ursprüngliches Ziel und ich deshalb auch in Zeitdruck gerate. Ursula habe ich versprochen um 18:00 wieder zu Hause zu sein.
Ein älteres Sennenehepaar, ihre Liegenschaft ist im Hinterforst Kanton SG, begrüssen mich um 16:45 sehr freundlich. Ich frage nach dem schönsten Echoplatz, der Senn meint eigentlich beim Kreuz, da er aber heute erst die „Galtlig“ dort neu umplatziert hat, sind sie noch etwas „öbestöllig“ und könnten Schaden anrichten. Ich erzähle ihnen von meinem Projekt und dass ich um 18:00 wieder im Dorf (Appenzell) sein soll. Der Senn ergreift sofort das Alp-Horn Schild, nagelt es neben der Stalltür an die Wand und ruft: „Frau, mach no wädli Kafi“ Ich stecke mein Alphorn zusammen und stelle mich 30 Meter vor dem Haus auf. Eigentlich ist mir im Moment nicht um Spielen, der Schweiss läuft mir immer noch runter, die Sonne brennt und der Puls ist nach wie vor sehr hoch. Während dem Spiel bekomme ich plötzlich noch Seitenstechen. Ich spiele deshalb nur drei einfache Melodien, zum Schluss wie gewohnt das Rugusserli. Jetzt plagt mich plötzlich auch noch ein Hungergefühl, das Birchermüsli am Mittag war zwar sehr fein aber nicht sehr nahrhaft. Beim letzten Ton wird es mir schwarz vor Augen, jetzt geht nichts mehr. Fürs Alphornspiel braucht es halt einfach mindestens 100% Kopf und gleichviel Körper, in Zukunft möchte ich das anders angehen.
Die Sennerin winkt mich zum Sitzplatztisch, ein supergrosses Stück Linzertorte und ein Beckeli Milchkaffe warten auf mich – sehr fein! Sie ahnt nicht, dass sie mich gerade rettet. Beide möchten natürlich wissen wem ich „aaghör“. Es stellt sich heraus, dass sie früher ab und zu Gizi zu meinem Grossvater in die Metzg brachten. Wir erzählen gegenseitig von Verwandten und Bekannten, von meiner Grossmutter Büchler von der Lauftegg, da erinnert die Sennerin sich und sagt: „Es get doch es Jodellied, Säntislüchte, dei hässts doch, mit de bi ni au vewandt“. Für mich ist das typisch Appenzell, es geht nicht darum dass man mit vielen verwandt ist – nämlich nicht mehr oder weniger als anderswo – sondern dass man hier noch eine Gemeinschaft ist die das Gefühl vermittelt zusammen zu gehören, einfach schön.
Jetzt muss ich mich leider verabschieden und entschuldige mich für den leider nur kurzen Überfall. Da es schon 17:10 ist, möchte ich wissen welcher der schnellste Weg nach Lehmen ist. Die Sennerin meint: „ Efach de Chiesstross entlang, dei wos en Cher get, chasch gradus dö de Wald. De Wanderer säg i aml 50 Minute, vö ös langid au 40.“ Beide gehen jetzt in die Alphütte zum „z’Vespe“. Beim Zusammenpacken meiner Sachen entdecke ich unter der Alphütte einen Hennenstall, da posiert gerade ein wunderschöner Güggel. Ich stelle das Vorderteil des Alphorns in die Nähe um ein schönes Foto zu machen, da schnattert er leider davon und geht auf Distanz.
Am Wegrand durch den Wald begegne ich einer Zwergenfamilie. Jemand hat sich die Mühe genommen auf drei Holzstrunke jeweils ein fröhliches Zwergengesicht zu malen und aus einem einen Fliegenpilz zu gestalten, sehr schön. Nach einem letzten Foto muss ich mich aber wirklich beeilen, ich renne deshalb so gut es geht einen Teil der Strecke. Nun fangen auch noch meine Trekkingschuhe an zu drücken, die Füsse sind in der feuchten Umgebung vermutlich etwas angeschwollen. Ich erinnere mich wieder einmal an den Kauf. Beim Probieren im Fachgeschäft war die Nummer 42 etwas zu eng und die 43 zu gross. Die Verkäuferin bestellte deshalb auf meinen Wunsch hin die 42 ½, als ich dieses probieren konnte, hatte ich aber den Eindruck dass es nicht grösser war als die 42. Da ich nicht gerne umständlich bin, habe ich sie dann trotzdem gekauft und seither denke ich regelmässig daran. Ich habe aber daraus gelernt, in Zukunft etwas umständlicher zu sein.
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