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DEFAULT : Alp Pfarrersnord
07.07.2013 20:30 ( 6933 x gelesen )

- Es riecht so fein nach Heublumen
- Nasser, uriger Weg, eine Bike Spur
- Den falschen Abzweiger erwischt, schöne Waldlandschaft
- De Erwin vo Herisau ond de Franz vo Kau
- Erwin meint mit Schalk: „I brieschte denn bi jedem falsche Ton uni“
- Schöner Echoplatz
- Die Galtlige fressen mich schier
- Erwin treibt sie behutsam nach unten und zur Strafe in den Stall
- Franz, das Schild und s’Mölche
- Erwin grinst mit seinem Lindauerli: „Ha gä nie möse rüefe!“
- „S’Echo isch enard no erbe schö do, bis etzt hets no niemer usprobiert.“
- Erwin war 38 Jahre auf der Vorderen Wartegg Senn
- Nun hat er eine kleine Hütte beim Pfannenstil, Alp Hasler
- Das Pfarrersnord ist nur zu Fuss erreichbar
- Chom, i zäg de gad de Weg, wäsch dei onne bi de grosse Bueche…
- Erwins roter Jeep


Heute liegt ein wunderbarer Duft in der Luft. Viele Bauern haben ihr Heu gestern gemäht und bringen es heute unter Dach. Beim  Gäzi im Sollegg werden fleissig Siloballen gepresst, ich schätze rund 40 Stück. Das Auto stelle ich auf den Parkplatz und marschiere Richtung Wasserschaffen. Als ich den Wald erreiche, riecht es etwas herber und weiter oben sticht mir sogar ein blumigsüsser Geschmack in die Nase. Je nach Waldabschnitt wechseln die Düfte, interessant wäre, wenn ich diese Duftnoten den entsprechenden Pflanzen  zuordnen könnte.

Das erinnert mich an meine Kindheit, wir gingen mit der Familie ab und zu Wandern. Mein Bruder Philipp war eher ein „Hans guck in die Luft“ und Maurus der Jüngste ein „Suppenclown“. Bei mir war es etwas anders, meine Augen waren stets auf der Suche nach etwas Speziellem, eine Versteinerung, einen Kristall oder farbenfrohen Stein und hie und da stiess ich sogar auf ein verloren gegangenes Sackmesser. Vater musste meinen Sammlerinstinkt meist bremsen da der Rucksack schwer und schwerer wurde. Mutter heuerte uns Buben regelmässig an, die Nase mehr zu brauchen: “Mmmmh, schmeckid emol do, mmmmh richtig fein die Waldluft.“ Wir taten ihr den Gefallen, das Interesse an solchen Düften war aber in dieser Zeit noch sehr gering. Manchmal griff sie zu einem frischen Nastuch, legte es ein paar Minuten auf einen grossen Ameisenhaufen und hielt es anschliessend vor die Nase und atmete tief ein. „Mmm, das isch gsond“, hörten wir anschliessend und „durften“ natürlich auch probieren. Wir Buben mussten aufgrund dieser bissigen Dämpfe eher laut husten und Vater konnte sich ein Grinste nicht verkneifen.

 
Der Abzweiger auf Wasserschaffen ist genau an dem Ort, wo der Weg der Alp Rotstein hinauf kommt. Ich kann aber nirgends eine Abzweigung erkennen und wandere deshalb etwas zu weit und nehme dann die Karte zur Hilfe. Ich gehe 100m zurück, dann die Wiese hinunter und anschliessend kann ich einen urigen Weg erkennen. Es ist überall sehr nass, z.T. hüpfe ich von Stein zu Stein damit die Schuhe nicht voll mit Lehm werden. Durch die vielen Sumpflöcher führt sogar eine  Bikespur, die offizielle Route geht aber vom Kaubad in die Scheidegg. Gerade stand in der Zeitung, dass Abweichler gebüsst werden. Wie reagieren darauf die Bauern?
 
Der Weg durch den Wald ist sogar zum Teil mit quer gelegtem Rundholz vor Nässe geschützt. Etwas weiter unten führt er über den Sönderlibach, es gibt keinen Steg, nur ein paar grössere Steine im Bach schützen vor nassen Schuhen. Das Wasser ist kristallklar und die Baumkronen etwas gelichtet, hier wäre ein schöner Rastplatz. Nun geht es wieder etwas bergauf, dann komme ich zu einem Abzweiger der auch in meiner alten Wanderkarte nicht eingetragen ist. Geradeaus, rechts oder links, ich entscheide mich für letzteres. In diesem Waldabschnitt gibt es viele gefallene und modernde Bäume, alles ist mit einem grünen Moosteppich eingepackt. In den 80-er Jahren versuchte man solche Zustände in den Wäldern zu verhindern, man fürchtete sich vor dem Borkenkäfer. Der Wald wurde stets sauber rausgeputzt, zusätzlich stellte man sogar Borkenkäferfallen auf. Heute weiss man, dass das liegen gebliebene Holz und darauf wachsende Pflanzen den kleineren Tieren den nötigen Lebensraum bietet, daran profitieren dann auch die grösseren. Ich meinerseits habe das Gefühl, dass ich nun schon zu weit westlich bin und steige deshalb über die Baumstämme und Mooslandschaft den Wald hoch. Da liegt doch wirklich ein modernder Baumkrümmling der etwa die Masse meines Alphorns hat.
 
Die Alp macht anfangs einen verlassenen Eindruck. Dann sehe ich aber, dass das obere Zimmerfenster bei der Hütte geöffnet ist und höre Geräusche aus dem Stall. Oberhalb der Hütte würde mir der Platz gut gefallen für ein Ständchen, ich laufe deshalb zwischen den Gebäuden durch, da kommt gerade ein älterer Senn mit weisser Sturmfrisur, langem Bart und Lindauerli aus dem Stall. Er schaut mich etwas „ghüslet“ an, da ich frage ihn, ob ich da oben Alphorn blasen darf. Jetzt grinst er und meint mit breitem Herisauer Dialekt: „Ah jo, gang nu, i brieschte denn bi jedem falsche Ton uni!“ Mit dem hatte ich nun doch nicht gerechnet, spielt er vielleicht auch Alphorn? Als ich mich dort oben einrichte, kommen drei neugierige Galtlige dazu, alles möchten sie beschnuppern und abschlecken. Ich bringe sie dazu etwas Abstand zu halten und beginne mit Blasen. Der Senn lehnt unten gemütlich am Hag und hört mir zu. Beim zweiten Teil kommen die Galtlige näher und lecken das Alphorn genüsslich ab, noch bevor ich zum Da Capo komme muss ich ungewollt abbrechen. „Chibe mos i“ mit den ungezügelten Tieren und bringe sie sorgfältig etwas auf Distanz. Der Senn da unten amüsiert sich natürlich grandios, ich spüre es förmlich.

Jetzt nur nicht aufgeben, deshalb stimme ich ein zweites Stück an. Es dauert keine Minute stehen die frechen Galtlige nun hinter mir, einer leckt mein rechtes Hosenbein ab und die beiden anderen geben ihr Bestes auf Nierenhöhe. Jetzt muss ich auch noch lachen und demzufolge abbrechen, das gibt’s doch gar nicht! Der Senn lacht auch, macht sich jetzt aber mit einem Wanderstock mühselig auf den Weg und holt die Galtlige, er meint wieder mit einem Grinsen: „Dene gfallt s’Alphornspiil halt au! I nemmes etz abe gad abi in Stall, sös öbewöffids de nos Ho(e)rn.“ Nun kann ich getrost eine halbe Stunde spielen, mit schönem Waldecho und dazu die Aussicht vom Kronberg bis zum Hochmoor geniessen, wunderbar.

 
Der jüngere Senn, er wird etwa 60 Jahre alt sein, nimmt die Galtlige beim Stall in Empfang und bindet sie dort an. Der ältere geht zur Hütte und wenig später steigt Rauch aus dem Kamin. Auch der jüngere geht nun zur Hütte, vermutlich essen sie Znacht. Nach dem Intermezzo Abendstimmung mit Alphornklängen gehe ich runter zur Hütte und deponiere das Alphorn beim Haag. Der jüngere Senn kommt als erster wieder aus der Hütte, wir stellen uns gegenseitig vor. Er sei der Franz von Kau: „ Wäsch, gad dei hönderem Hennestall.“ Ich frage ihn nach einem passenden Platz für das Schild, wir einigen uns auf den Ort über der Stalltüre. „Abe etzt mos i pressiere mit Mölche, i bi drom escht em föfi unicho, ha Dehem no möse Heue.“ Sofort schaltet er den Stromaggregator ein und verschwindet im Stall.
 
Nun kommt auch der ältere Senn, er heisst Erwin und kommt von Herisau, aus der Hütte. Er grinst wieder, zündet sein Lindauerli an und meint: „Ha gä nie möse brieschte! Choge schö gseh, ond s’Echo ischt enard no erbe schö do. Bis etzte hets no niemer usprobiert. Isch enard scho no speziell, dass me uf dem efache Tüchel sovil Tö usibringt. Ond wa isch denn da vö Holz, ond chames au zemelege?“ Eine interessante Diskussion entflammt, ich möchte von ihm natürlich auch einiges wissen. Erwin war bis zum letzten Jahr 38 Sömmer auf der Vorderen Wartegg Senn, die Alp grenzt direkt an diese. Die Geissen hielt er jeweils mit Franz zusammen, diese muss man von Hand melken, was er jeweils erledigte, das geht jetzt aber nicht mehr, denn seine Hände schmerzen.

Deshalb sei er jetzt nur noch zu Ferienzwecken hier oben, zündet sein Lindauerli erneut an und meint: „Isch doch au schö, ond denn hölf i em Franz so guets goht.“ Sein Hof in Herisau, er grenzt direkt an Stein AR, hat er nun verpachtet. Er klopft seine Pfeife aus, stopft mit den dicken Fingern neuen Tabak hinein und anschliessend kommt ein Strahlen in sein Gesicht. „Wäscht, letscht Woche hani chöne e chlises Alphöttli pachte, Hasler hässts. D’Hötte isch nome me bewohnbar, i mos zescht no e chli renoviere, chennsches?“ Natürlich kenne ich es, sie liegt direkt hinter dem Pfannenstil auf der rechten Seite, 20 Gehminuten. „I mos denn no e chlises Herdli ha, wäsch es ohni Bachöfeli, d’Chrömli werid sowieso gad schwaz dei inne ond zschwä dafs nüd see, i mos es uniträge au no chöne.“ Zum Glück hatte ich diese Alp bis jetzt noch nicht besucht, ich möchte Erwin gerne nochmals begegnen, ab September gilt es ernst.

 
Ich muss aufbrechen, es könnte gut sein, dass sich noch ein Gewitter zusammenbraut. Da ich nicht über den regulären Weg gekommen bin, erklärt mir Erwin die genaue Route. Er kommt sogar ein Stück Weg mit und erzählt mir, dass die Alp nur zu Fuss erreichbar sei. Entweder vom Kronberg, oder Ahorn oder eben  über Wasserschaffen, „es isch abe ken Wandeweg, no en Alpweg“. Er stelle jeweils seinen roten Jeep bei Wasserschaffen ab. „Ond etzt mosch luege, dei onne bi de grosse Bueche mosch denn lengs öberi.“ Zum Glück hatte er mir den Weg noch genau gezeigt, ich hätte den Abzweiger bestimmt verpasst.

Bei Wasserschaffen treffe ich dann auch noch auf den beschriebenen roten Jeep, das Gefährt passt exakt zu Erwin. Nun hoffe ich, dass ich im Herbst im Pfannenstil auf einen roten parkierten Jeep treffe…


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